Das UNESCO-Welterbesystem ist dysfunktional
Die Welterbekonvention muss Teil der UN-Reform werden
Eine Bilanz der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees 2023 in Riad Berlin, 25. September 2023.
Das System der UNESCO zur Nominierung, Überwachung und Erhaltung von Welterbestätten kann seine Aufgabe nicht mehr hinreichend erfüllen. Diese besorgniserregende Bilanz zieht World Heritage Watch nach der soeben zuende gegangenen zweiwöchigen Sitzung des Welterbekomitees – des periodisch gewählten Gremiums von 21 Staaten, das im Auftrag der Staatengemeinschaft alle Entscheidungen über das Welterbe trifft.
Das Gremium leidet unter einigen derselben Systemfehler, die auch den UN-Sicherheitsrat lähmen: Mitgliedstaaten des Welterbekomitees können ihre Macht missbrauchen und entgegen den offensichtlich zutage liegenden Fakten politisch motivierte Beschlüsse fassen, während die Zivilgesellschaft weiterhin von ihren Entscheidungsprozessen konsequent ausgeschlossen bleibt.
Als krasseste Fehlentscheidungen bewertet WHW die Weigerung des Komitees, de facto akut gefährdete Stätten in die „Liste des gefährdeten Welterbes“ einzutragen, so z.B. Venedig, die Festung und Kulturlandschaft von Diyarbakir und die Vulkane von Kamtschatka, obwohl dies von ihren eigenen beratenden Fachgremien empfohlen worden war.
Stätten, in denen laufende Zerstörungen stattfinden wie z.B. die Viktoria-Fälle in Sambia/Simbabwe und die Sundarbans, der größte Mangrovenwald der Erde in Bangladesch, das Historische Kairo und die Akropolis von Athen, waren nicht einmal zur Einschreibung in die sogenannte „Rote Liste“ vorgesehen; im Falle der Akropolis hatte Griechenland – selbst Komiteemitglied – schon im Vorfeld verhindert, dass die Stätte überhaupt auf die Tagesordnung kam.
In einem Rückschritt, der auch von vielen Delegationen der Mitgliedstaaten unter der Hand bedauert wurde, erlaubte der saudische Sitzungspräsident den NGOs und indigenen Völkern erst zu sprechen, nachdem die Beschlüsse gefasst worden waren, und auch dies nur für zwei Minuten.
Umgekehrt kannte das Welterbekomitee wenig Zurückhaltung bei der Einschreibung neuer Stätten in die Welterbeliste. Von insgesamt 50 Nominierungen hat das Komitee in 16 Fällen die Stätte gegen die Empfehlung der beratenden Fachorganisationen in die Welterbeliste aufgenommen. In diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert, dass von den 50 Nominierungen 14 von Mitgliedstaaten des Komitees selbst vorgelegt worden waren – entgegen einer früheren Aufforderung des Komitees, dass sich Staaten mit Nominierungen zurückhalten sollten, während sie Mitglieder des Komitees sind, um den Anschein von Befangenheit oder politischer Einflussnahme zu vermeiden.
„Das gemeinsame Erbe der Menschheit wird vor aller Augen in den Ruin geführt“, erklärt Stephan Dömpke, Vorsitzender von World Heritage Watch. „Die Krise des Multilateralismus macht auch vor UN-Unterorganisationen wie der UNESCO nicht halt. Wir rufen daher die 195 Vertragsstaaten der Welterbekonvention auf, auf ihrer Generalversammlung im November in Paris eine Reform der Geschäftsordnung des Welterbekomitees anzustoßen, um eklatante Missstände abzustellen, und Staaten ins Komitee zu wählen, die größere Gewähr dafür bieten, sich an Geist und Buchstaben der Welterbekonvention zu halten. Dringend erforderlich ist außerdem die Verankerung eines Sanktionsregimes, das bei Feststellung bestimmter objektiv überprüfbarer Fakten in Kraft tritt.“